Theater Nikola Landshut e.V.

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Amanita

Hölle mit Hoffnungsschimmer
Premiere von "Amanita" im Theater Nikola überzeugte das Publikum
 
Mit der Umsetzung des ungewöhnlichen Stücks "Amanita" von Ingo Sax über eine psychisch kranke junge Frau, die seit dem Tod ihres Vaters vor vier Jahren kein Wort mehr gesprochen hat, beweist das Theater Nikola viel Mut. Vor allem den unbändigen Mut der Sonja Trompke, sich in die Psyche Amanitas und in die Ursache ihrer Krankheit hineinzuversetzen; den Mut, dem Publikum im Pfarrsaal St. Nikola ein schockierendes und unbequemes Thema zuzumuten und den Mut, einen zur Hälfte besetzten Saal zu riskieren. Die Premiere am Samstag Abend gab Regisseur Benno Herrmann recht: Das Publikum zollte der Aufführung von "Amanita" mit viel Beifall Respekt.
Amanita (gespielt von Sonja Trompke) ist verstummt, sie spricht nicht einmal mehr mit ihrer Mutter, hat keine Kontakte, keine Freunde, geht nur mehr täglich zum Blumenladen, um die immer selben Blumen zu holen, die sie in einer Vase ohne Wasser arrangiert. Aus ihrem Zimmer hat Amanita eine pechschwarze Hölle gemacht, in der sie sich von der Umwelt abschottet und verschließt. Ihre Mutter Maria Röttger (Lisa Gusel) weiß keinen Ausweg mehr, immer am Todestag des Vater passiert etwas: legt Amanita Feuer oder versucht sie, sich umzubringen.
Diesmal holt ihre Mutter Hilfe in Person der Pastorin Juliane Padels (Gabi Butz). "Sehen Sie, so lebt sie", stellt sie das schwarze Reich ihrer Tochter mit einer gleichermaßen unbeteiligten wie hilflosen Geste vor. "Ja, ja, das ist ganz typisch", urteilt schnell und pauschal die Pastorin. Die Theologin und Psychologin, eine hölzerne, fast kaltschnäuzig wirkende graue Frau, ist überzeugt von ihrer theoretischen Ausbildung. Verbissen hält sie sich am Freudschen Lehrbuch und ihren pauschalen Urteilen und Überzeugungen fest, sie hört dem Zivildienstleistenden Sven (Karlheinz Attenkofer) nicht zu, den sie für psychologisch völlig ungebildet hält, und sie sieht die leisen Reaktionen und Blicke der Amanita nicht, mit denen diese auf die geradezu bedrängenden Wortkaskaden der Psychologin reagiert.
So findet Juliane Padels bei Amanita keinen Zugang. Sven Niemayer, der Zivildiesntleistende, der einen weiteren Suizidversuch Amanitas verhindern soll, findet hingegen sehr wohl Gehör bei Amanita. Er stellt die richtigen Fragen und zieht Rückschlüsse, er respektiert Amanita und ihr Gebaren und schafft es endlich, hinter die Mauer aus Schweigen zu sehen und sie durch harte Konfrontation mit der Wahrheit einbrechen zu lassen. Amanita findet Worte und erklärt ihr Schweigen. Der hoffnungsvolle Ansatz nach dem totalen Zusammenbruch kommt am Ende des Schauspieles in drei Akten allerdings etwas zu schnell und einfach und lässt die tragische Ursache für Amanitas Schweigen regelrecht verpuffen. Völlig unbeantwortet bleibt, ob sie es schaffen wird, die Erlebnisse zu überleben, weiterzuleben. "Amanita" ist damit kein Theaterstück, das den Zuschauer für den Rest des Abends in nachdenklicher Niedergeschmettertheit hinterlässt.
Die wortreichen Interaktionen zwischen selbstüberschätzter theorieverbissener Psychologin, gestylter Karrieremutter und pragmatischem Zivildienstleistendem offenbaren zwar viele Klischees, sorgen aber für Spannung. So überwiegt die fesselnde Dramatik des Schauspiels die eigentliche Tragödie, die hinter dem Geheimnis über den Tod des Vaters und dem Verstummen steckt. Eine grandiose Sonja Trompke verleiht der Figur der Amanita Authentizität. Benno Herrmann hat es gewagt, mit "Amanita" aktuelles, aufrüttelndes Theater zu inszenieren, und gewonnen: Das Publikum war gebannt und berührt und spendete langen Applaus.

Elisabeth Lackermeier

 

Was geschah am 16. Oktober 2004
Theater Nikola lüftet das dunkle Geheimnis der jungen "Amanita"
 
Eine Mädchenstimme vom Band erzählt, wie sehr die 13-jährige sich auf den Sommer freut, auf Badeausflüge mit Freunden und das Spielen in der Sonne. Zehn Jahre später: Aus dem lebenslustigen Mädchen ist eine stumme, todessehnsüchtige junge Frau geworden. Sie sitzt im schwarzen, abgedunkelten Zimmer, trägt Schwarz - und spricht seit vier Jahren kein Wort: Amanita.
Der 16. Oktober naht, jener Tag, an dem Amanitas Vater starb und das Mädchen verstummte. Es ist ein Tag, an dem immer Schreckliches passiert - einmal zündete Amanita die Wohnung an, ein anderes Mal schluckte sie alle Tabletten im Badezimmerschrank. Mutter Marie hat also berechtigte Angst vor dem nahenden Termin und sucht professionelle Hilfe.
Juliane Pagels, Psychologin und Theologin, sucht mit dem Instrumentarium aus dem Lehrbuch vergeblich Zugang zu Amanita. Doch es ist Zivi Sven, der - abgeordnet, Amanita zu beaufsichtigen - das Mädchen wieder zum Sprechen bringt und das schreckliche Geheimnis jenes 16. Oktober lüftet: Amanita hat ihren Vater, der sie jahrelang sexuell missbraucht hat, ermordet.
"Amanita" ist definitiv kein Stück seichte Bühnenunterhaltung. Doch Regisseur Benno Herrmann wollte schon lange das Thema sexueller Missbrauch auf die Bühne bringen. Dass er mit "Amanita" von Ingo Sax ein Stück gewählt hat, das nicht auf effektvolle Brutalität und plakative Anklage, sondern auf subtile Darstellung der Folgen setzt, ist ihm dabei hoch anzurechnen.
Ebenso verdient die Leistung, einen bisweilen ins Lehrhafte abrutschenden Text immer wieder einzufangen und vor allem dem Stück einen neuen, plausibleren als den vorhergesehenen Schluss anzuschneidern, höchsten Respekt.
Wie auch dem Ensemble. Vor allem das nuancenreiche Spiel von Sonja Trompke in der Rolle der Amanita verdichtet die Beklemmung. Ohne Worte sagt sie meist mehr als alle Figuren neben ihr. Die sind leider etwas archetypisch angelegt, doch schaffen es Lisa Gusel als Mutter Marie, Gabi Butz als Psychologin Pagels und Karlheinz Attenkofer in der Rolle des Zivi Sven, ihren Figuren doch noch mehr als eine Dimension abzutrotzen.
Das Theater Nikola bietet wieder einmal eine starke Ensembleleistung in einem glänzend inszenierten Stück zu einem wichtigen Thema. Das Stück verlangt den Darstellern wie dem Publikum einiges an Leidensfähigkeit ab. Vielleicht verirrten sich gerade deswegen gerade einmal gut 60 Zuschauer in das sonst oft ausverkaufte Pfarrzentrum St. Nikola. Dabei hätte "Amanita" deutlich mehr Zuspruch verdient.
Stefan Becker

 

Wenn die Seele schweigt
"Amanita" - hochaktuelles Psychogramm in einer spannenden Inszenierung
 
Alles schwarz – schwarze Kleidung, schwarze Bettwäsche, schwarze Wände. Seit vier Jahren hat sich Amanita in ihre Welt der Trauer eingeigelt. Seit dem Tode ihres Vaters spricht sie nicht mehr, verlässt sie das Zimmer nur, wenn sie Blumen holt, weiße Blumen der Unschuld – so meint man. Ihre Mutter ist hilflos. Werden die Psychologin und ihr Betreuer, ein fröhlicher Zivildienstleistender helfen können?
Ingo Sax` Theaterstück „Amanita“, von der Theatergruppe Nikola für das Landshuter Publikum entdeckt, entpuppt sich als überaus spannende Enthüllungsgeschichte eines mutistischen Mädchens und gleichzeitig als überraschende Detektivgeschichte.  Theaterleiter Benno Herrmann ist unter der psychologischen Beratung von Linda Bachmeier ein sensibles Enthüllungsdrama in Kerzenscheinatmosphäre gelungen. Nur über eine Schiebewand strahlt die Welt als sattes Grün herein. Doch meistens bleibt das Fenster zu. 
Die roten und weißen Farbkleckse, Schüttbilder von Markus Wimmer, künden von der psychischen Misere Amanitas, in die die Lichtregie stimmungsvoll hineinleuchtet und zum Kammerstück für vier Personen verdichtet. 
Lisa Gusel spielt die Mutter als gepflegte Erscheinung, der man niemals ein derartiges Szenario in den eigenen vier Wänden zutrauen würde. Sie scheint ihre Tochter zu lieben und doch über alle Maßen überfordert zu sein. Ihre höfliche Gelassenheit bereitet die innere Dramaturgie des Stückes vor. Ganz in Rot gekleidet, zumindest optisch Symbol mütterlicher Liebe, stellt sie eben gerade dies durch ihr distanziertes Spiel in Frage. Sie sorgt sich zwar, und ist doch nicht mit dem Herzen dabei. Ihrer Außenwirkung fehlt die innere Zuwendung, wie sich später herausstellt.
Gaby Butz übernimmt als Frau Doktor der Theologie und Psychologie eine leichte karikierende Position. Immer wieder setzt sie mit bewusst schmeichelnd einfühlsamer Stimme die Ursachenforschung an, doch ihre neunmalkluge Gesprächsführung  als endlos palavernde Psychotante ist wie abgelesene Theorie, nämlich wirkungslos. 
Nur der Zivi findet mit seiner sehr leger-lockeren , teilweise unflätigen Betrachtung der Situation ganz langsam Zugang zu Amanita. Karl-Heinz Attenkofer gelingt die Rolle des simplen Biologiestudenten mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Nach jedem Ausbruch Amanitas wird er verständnisvoller, von natürlicher Sorge ergriffen und geht ganz unverkrampft an das Problem heran. 
Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung ist natürlich Amanita selbst, eine Glanzrolle für Sonja Trompke. Stumm, nur mit weit aufgerissenen Augen wird sie zur Inkarnation eines leidenden Menschen, in ihren Ausbrüchen zum unberechenbaren Tier. Sie entwickelt Wahnsinnskräfte, schlägt und haut um sich, sie schreit aus existentieller Angst, versinkt in ihrem Kummer wie in einem Moor ohne Rettungsanker, verschließt sich wie eine Auster, abgenabelt von der Umwelt. Sie verspinnt sich hinter den Rauchschwaden von Räucherstäbchen, rollt sich embryonal in ihre schwarzen Klamotten, entspannt nur bei klassischer Musik. Ganz kleine Gesten verraten ein erstes Sich-öffnen, bis es dann aus ihr herausbricht. 
Der Vater, ein berühmter Sänger, starb nicht an Leberzirrhose, sondern sie hat ihn mit einem Giftpilz, lateinisch Amanita, umgebracht, sich gerächt, dass er sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr vergewaltigt hat. Und die Mutter? Sie war nie da, immer unterwegs.
So empfiehlt sich „Amanita“ als thematisch und schauspielerisch als spannender Theaterabend, den man sich nicht entgehen lassen sollte.
 Michaela Schabel