Theater Nikola Landshut e.V.

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Späte Gegend

 LZ vom 26. Oktober 2009

 

Geheimnisvoll verwobene Puzzleteilchen

Lida Winiewiczs „Späte Gegend" sucht im Theater Nikola die Identität zweier Frauen

Von Niko Firnkees

Ob es sich um eine geniale Symbo­lik handelte, um eine technische Mo­difikation oder um ein Versehen, sei dahingestellt: Zur Premiere des Stücks „Späte Gegend" von Lida Winiewicz im Nikolatheater hatte man am Boden mit Kreide die Stuhl­reihen markiert und ganz vorne mit Reihe zwei begonnen. So suchten viele der zahlreichen Besucher erst einmal ihren Ort, der ihnen zuge­dacht war. Ebenso wie die beiden Protagonistinnen auf der Bühne.

 Kritik LZ vom 26. Oktober 2009
 

Eine Doppelbank an einer Halte­stelle oder einem Bahnhof mit einer Lehne, ein Mülleimer, ein Graffiti und ein überdimensioniertes „00" samt Pfeil, mehr hatten Regisseurin Gisela Fiori und die Bühnenbildner nicht vorgesehen. Die puristische Dekoration passte zum Stück: Mit der Bäuerin (Lisa Gusel) und der Städterin (Gabriele Lichtenecker) reduzierten sich Menschenschicksa­le und die Zeitgeschichte zwischen dem K- und K-Reich und dem Be­ginn der zweiten österreichischen Republik auf zwei sehr entfernt platzierte Mosaiksteinchen.

Die Entfernung war zunächst auch optisch sichtbar. Bäuerin und Städterin saßen sich versetzt gegen­über, wichen auf das jeweilige Ende der Bank aus. Die Bäuerin begann in einer Mischung aus Selbstgespräch und Suche nach einer Gesprächs­partnerin, von ihrem Leben zu er­zählen. Die Städterin antwortete in gleicher Intention. Beide redeten al­lerdings aneinander vorbei, ein Bezug auf das jeweils Erzählte fehlte vollständig.
Im Prinzip hätten beide auch auf verschiedenen Bahnsteigen vor sich hinbrabbeln können. Das arme Landmädchen aus einer späten Gegend, also einer hinterwäldlerischen, wo sich nicht einmal mehr Fuchs und Hase „Gute Nacht" sagen und die großbürgerliche Jüdin aus Wien hatten zunächst nichts miteinander gemein. Wenn die exaltierte Städterin und der gesunde Mutterwitz der armen Bäuerin aufeinander trafen, wenn der Vater, ein Dr. jur. sowie, die Gouvernante Mademoiselle einerseits und der Seppl und der Herr Katechet andererseits zum Gesprächsthema wurden, öffneten sich wechselseitig unbekannte Welten.
Nun geschah aber das Faszinierende des Stücks: Durch das parallele beziehungslose Erzählen lösten
sich die scheinbar so unterschiedlichen Rollen zunehmend unter dem Einfluss der Zeitgeschichte auf. Was an sozialen Positionen vorgegeben schien, wurde in Frage gestellt, ins Gegenteil verkehrt. Das Ende des Kaiserreichs und der Erste Weltkrieg, der Beginn der Nazizeit, der Zweite Weltkrieg, dessen Ende: Immer mehr zeigte sich, dass die beiden Frauen durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden waren. Dass sie mehr in einem gemeinsamen und geheimnisvollen Getriebe miteinander agierten als nur einfach beliebige Puzzleteile zu sein.
Während die Bäuerin über das ganze Stück hinweg fast emotionslos blieb und so etwas wie eine statische Konstante bildete, ging die eingangs mehr als distanzierte Städterin immer mehr aus sich heraus, legte ihren durch die Erziehung in der Oberschicht ebenso wie durch den Terror der Nazis bedingten Schutzschild immer mehr ab, reagierte am Ende - vielleicht das erste Mal in ihrem Leben - emotional. Dabei verstanden beide immer mehr, was sie jeweils unter Glück verstanden: Geliebte Menschen hatten Terror und Krieg überlebt.
All dies erforderte viel Sinn für das Nutzen minimaler Gesten und Sprachnuancen. Die beiden Schauspielerinnen hatten das minimalistische Konzept verinnerlicht, lebten es auf der Bühne, ernteten am Ende Bravo-Rufe.


Info
Einen Online-Beitrag mit Gisela Fiori gibt es unter idowa.de zu sehen.


 

Landshut Aktuell vom 29. Oktober 2009

 

 

 "Ich fühl mich übrig"

Gelungenes Zwei-Personen-Stück "Späte Gegend" im Theater Nikola

 

Weit auseinander sitzen sie, die Städterin und die Bäuerin, zuerst auf einers chmiedeeisernen Wartebank, vor der hässlichen Mauer mit Graffities und dem Toilettenhinweis. Es ist nicht mehr ihre Welt, Lida Winiewicz' "Späte Gegend" erzählt vor, vom und nach dem zweiten Weltkrieg, Zwei chronologische, ganz private Monologe enthüllen die Geschichte aus zwei Perspektiven, wie sie konträrer nicht sein könnten.

Krieg und Holocaust klingen nur am Rande an, ohne tief ins Bewusstsein zu rücken. Nicht die Politik steht im Fordergrund, sondern das Leben. Gelassen schält Lisa Gusel als Bäuerin einen Apfel, proper sieht sie aus in ihrem langen Trachtenröck, der Traehtenjacke und der weißen Bluse. Ihr Leben war alles andere als leicht. Aber das Leuchten in Lisa Gusels Augen straft alle Worte Lügen. Ihr Leben war voller freudvoller Momente, am allerschönsten, als sie zum Nikolaus einen Bleistift bekam.

Wie überheblich erscheint dagegen die Städterin, ein jüdisches Herrenhauskind, das eine Box mit 12 Zeichenstiften hat, aber entgegen der strengen Mutter nach der mit 24 schielt.
Gabriele Lichtenecker zeichnet eine schicke kosmopolitische Städterin mit französischem Akzent braungebrannt, attraktiv im bunten Sommerkleid. Zunächst etwas großspurig, mit Buch betont intellektuell fällt mit jeder Erzählung die anerzogene Grandezza ab.

 

Die abweisende Rückenansicht dreht sich ins Profil, rückt näher an ihr Vis-a-vis, die Augen beginnen immer öfter wie bei Lisa Gusel aufzublitzen, quirlig vergegenwärtigt Gabriele Lichtenecker die Menschen ihres Umfeldes, zuweilen ironisch, ein bisschen süffisant karikierend und kommentierend, als sich die politische Lage ändert ernster und verinnerlichter und mittendrin ganz fassungslos.

Lisa Gusel dagegen bleibt mit stoischer Gelassenheit immer ein und dieselbe, umso witziger wirkt die unterschwellige Ironie des Textes. Obwohl nichts Großes passiert, spürt man überall die sensible Regie von Gisela Fiori. Sie versteht es unter der Sachlichkeit des Textes die Emotionalität unterschiedlicher Gesellschaftsschichten aufzuspüren, die unfreiwillige Komik zu entdecken. die inhaltliche Dramatik der beiden Biografien mit der Leichtigkeit des Seins zu verknüpfen.
Ohne Larmoyanz wie aus weiter Ferne und doch mit Herzblut mittendrin lässt Lisa Gusel und Gabriele Lichtenecker ohne viel Gestik, doch recht beherzt erzählen. Sie kreiert zwei Frauenfiguren, die erst im Rückblick verstehen, die aus der "Späten Gegend" kommen, wo eben erst alles etwas später reif wird.

Aus New York die eine, aus dem Austragshäusel die andere, treffen sich ihre Biografien heimatlos in der parallel gemachten Lebenserkenntnis. Vielleicht bin ich ungerecht. Aber ich fühl mich übrig". Mit dieser Schlusssequenz werden Stück und Inszenierung zur Parabel für das Altwerden schlechthin.


Michaela Schabel