Theater Nikola Landshut e.V.

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Die Wanderhure Kritik LZ vom 21. Mai 2024

Spannend wie nie

Theater Nikola: Gefeierte Premiere der "Wanderhure" unter der Regie von Thomas Ecker

Von Michaela Schabel

Donnernde Trommeln,  geflötete Melodien und Gesang lassen das Mittelalter lebendig werden. Die Bühne irritiert durch die Optik einer riesigen Geisterinstallation. Es wird düster. Die Kirchturmglocke läutet um Mitternacht 13-mal, ein Symbol dafür, dass etwas Besonderes geschieht. Ein Schrei ertönt und schon taucht man in die Geschichte der „Wanderhure" ein. Marie, die schöne Tochter 
eines rechtschaffenen und  vermögenden Tuchhändlers, wird von ihrem adeligen Bräutigam durch eine Intrige der Hurerei beschuldigt, im Gefängnis vergewaltigt, verurteilt und ausgepeitscht zur Wanderhure. Durch  ihr  mutiges und beherztes Handeln kann sie sich schließlich rehabilitieren. 
  Das Melodram  um die unschuldige Marie ist eingebettet in die historischen Ereignisse des Konstanzer Konzils (1414-1418), als bis zu 60000 Menschen nach Konstanz kamen und  sich die Bischofsstadt in ein Hurenhaus  verwandelte. 2004 gelang Iny Lorentz, so das Pseudonym des deutschen Schriftstellerehepaars Iny Klocke und Elmar Wohlrath, mit „Die Wanderhure" ein Bestseller. 2009 wurde das Werk verfilmt, 2013 für die Bühne adaptiert und inzwischen in über 40 deutschen Städten gespielt.

So spannend wie jetzt in Landshut hat das Autorenpaar, das bei der Premiere anwesend war, „Die  Wanderhure" allerdings noch nie gesehen.

Regisseur  Thomas Ecker beweist erneut ein ausgezeichnetes Gespür für Bühnendramatik. Mit Esprit macht er aus dem schwarz-weiß malenden Melodram eine hochdramatische Geistergeschichte, in der unschuldige, aufrechte   Menschen im Namen der Kirche malträtiert und die Mächtigen zu Marionetten des Klerus werden. Wie ein Spuk leuchtet das Mittelalter auf.

 

Die Wanderhure

Spannend, sinnlich, emanzipatorisch - die Nikolaner lassen  in der "Wanderhure" das Mittelalter wie einen Spuk aufleuchten (Mathias Paintner als Dietmar von Arnstein, Sabine Hoffmann als Marie).

Die raumhohe Geisterinstallation aus schwarzem  Stoff wie ein Zelt, als Symbol für das Schicksal, wird zum Kerker und Bordell. Was dort passiert, hört man nur — was ein spannendes Kopfkino provoziert. Sexuelle Übergriffe, Gefechte und intrigante Morde dynamisieren das Geschehen auf der Bühne, die vier dunkle, flatternde Geister in Windeseile zu neuen Lokalitäten arrangieren. Dreht man die Hocker, verwandelt sich das düstere Grau in royale Farbenpracht, das das Wirtshaus in Gerichts- oder Königssal (Bühnenbild: Bernhard Kühlewein). 

Es Sind die Frauen, die den Wandel bewirken 

  Nach der Pause spiegeln sich in Maries Schicksal immer stärker die gesellschaftlichen Verwerfungen einer rigiden Ständegesellschaft, in der jegliche Kritik als Ketzertum verurteilt wird.
Reformator Jan Hus (Georg Lackermeier), Opfer klerikaler Macht und monarchischer Machtlosigkeit, hält gefoltert seine letzte Rede, über ihm auf der Galerie der Bernlochnersäle das hohe Gericht  im roten   Lichtschein als teuflische Persiflage: Das Holz knistert, die Flammen irrlichtern als Schatten auf der Bühne — eine von vielen beeindruckenden, emotionalisierenden Szenen. 
   Doch die  Zeiten der kirchlichen Übergriffe beginnen sich zu ändern. Man kann durchaus dem Schicksal entrinnen, wenn es beherzte Menschen gibt. Es sind die Frauen, die den Wandel bewirken, allen voran Marie, die sich von der braven Tochter zur mutigen Kämpferin entwickelt. Sabine Hoffmann verleiht ihr nicht nur eine überaus liebenswürdige Optik. Durch ihr differenziertes Spiel bekommt diese fiktive Figur eine überzeugende Authentizität zwischen mädchenhafter Anmut, tragischer Leiderfahrung und zunehmender taktischer Klugheit. Ihrem Charme unterliegen nicht nur die Männer. Der Abschiedskuss von Maries Mentorin  Mechthild  von Arnstein, von Ina Lehmann sehr distinguiert gespielt, wird zum Ausdruck lesbischer Begehrlichkeiten, ein charmanter Regieeinfall von Thomas Ecker, womit der ganze Erzählstrang rund um die Suche der hochschwangeren Mechthild nach einer geeigneten Hure für ihren Gemahl während der Zeit der ehelichen Enthaltsamkeit an Logik gewinnt. 
  Sehr plastisch und sinnlich arbeitet Thomas Ecker die gesellschaftliche Bedeutung der Huren wegen des extrem hohen Männerüberschusses während des Konzils heraus. Trotz derber Beschimpfungen und Diskriminierung treten sie überaus selbstbewusst auf. Sie haben die Hosen an, die Männer sind die Bösewichte, angefangen von Magister Splendidus, von Aaron Jungblut-Klemm als smarter Schnösel in schwarz-roter Mephisto-Optik herrlich unsympathisch gespielt, über die selbstherrlichen Vertreter der Kirche (Berndt Stindt, Rainer Weiher) bis zum drögen, fast debil wirkenden König Sigismund (Ludwig  Götz), der im letzten  Moment noch einen Erkenntnisschub durchlebt. „Nach Canossa geht heute keiner mehr." 
   Und damit alles noch ein bisschen atmosphärischer wirkt, untermalt Thomas Ecker die Inszenierung mit einem Musikmix aus Werken von Richard Wagner, wodurch bei der melodramatischen Emotionalisierung ganz subtil ein gewisses Maß an romantischer Ironie mitschwingt. 
 Alles in allem ist „Die Wanderhure" eine überaus spannende und sehr ambitionierte Inszenierung, die über die Leidensgeschichte Maries Einblick in die gesellschaftlichen Probleme des Mittelalters gibt und das Können der Theatergruppe Nikola über drei Generationen hinweg zum Glänzen bringt. 


Termine der Aufführung:

„Die Wanderhure" ist in den Bernlochnersälen noch an folgenden Terminen zu sehen: 23., 24., 25., 26., 30., 31. Mai sowie 1. und 2. Juni, jeweils ab 20 Uhr.